Sich mit Lernen zu beschäftigen dürfte neben Bildung, Vermitteln, Beratung, Organisation und Entwicklung eines der zentralen Themen für Pädagogen sein. Interessanter Weise gibt es sowohl in der psychologischen, als auch pädagogischen Literatur eine große Zahl von Ausführungen zu diesem Thema. Aber was ist eigentlich Lernen?
Wir können Lernen als einen Prozeß definieren, der zu relativ stabilen Veränderungen im Verhalten oder im Verhaltenspotential führt und auf Erfahrungen aufbaut. Lernen ist nicht direkt zu beobachten. Es muß aus den Veränderungen des beobachteten Verhaltens erschlossen werden.
(Zimbardo: Psychologie, Springer, Berlin, 1992, S. 227.)
Zwei Richtungen
Es gibt verschiedene Theorien wie es zu diesen Veränderungen im Verhalten bzw. Verhaltenspotential kommen kann. Im Behaviorismus werden im Wesentlichen die klassische Konditionierung und das operante Konditionieren genannt. (Behavioristische oder assoziationistische Lerntheorien.)
Banduras „Lernen am Modell“ stellt aus meiner Sicht einen Ãœbergang vom Konditionieren zum kognitiven Lernen dar. Dieses wird durch Piaget in sehr anschaulicher Weise durch Assimilation und Akkomodation ergänzt. (Theorien der kognitiven Organisation.)
Vorgeschichte
Noch vor gezielter Lernforschung gab es zwei grundlegende Lehren die als Basis für die spätere psychologische Forschung dienten.
Unter anderem vertrat der britische Philosoph John Locke (1632-1704) die Auffassung, dass Wissen aus Assoziationen von Ideen entstehen die ihren Ursprung in sensorischen Informationen aus der Umwelt haben. Er vertrat die Ansicht, dass Geist und Psyche des Menschen zum Zeitpunkt der Geburt wie eine unbeschriebene Tafel waren. Unser Wissen und unsere Fähigkeiten entstünden durch unsere Erfahrungen so Locke. (Assotiationspsychologie)
Im Gegensatz dazu behauptete Immanuel Kant (1724-1804) das Gehirn verfüge über angeborene Strukturen die für die Entwicklung des Geistes zuständig seien und nicht von Erfahrungen abhängen. (Fähigkeitspsychologie)
Der britische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832) entwickelte den Begriff des adaptiven Hedonismus, welche den Ursprung der menschlichen Motivation erklären sollte. Benthams Grundsatz entsprechend würden die Menschen ihr Handeln an Lustgewinn und Schmerzvermeidung ausrichten.
Die frühen Psychologischen Forschungen sind zunächst von einem Reiz- Reaktionsschema als Grundlage für Lernen ausgegangen.
Theorien
Klassisches Konditionieren
Iwan Pawlow (1884-1936) entdeckte zufällig die Mechanismen des klassischen Konditionierens. Ursprünglich wollte er die Speichelsekretion von Hunden untersuchen. Im Rahmen der Untersuchungen stellte er jedoch fest, dass die Hunde nicht erst Speichel produzierten wenn sie Futter aufnahmen, sondern schon beim Geruch des Futters und später sogar schon wenn sie die Schritte des Versuchsassistenten hörten der die Tiere mit Futter versorgte. In unterschiedlichen, teilweise komplexen Versuchsanordnungen konnten ähnliche Reiz- Reaktionsketten reproduziert werden.
Operantes Konditionieren
Burrhus Frederick Skinner (1904-1990) gilt als Begründer des operanten Konditionierens. Bei Skinner wird im Gegensatz zu Pawlow der Reiz erst präsentiert wenn der Organismus eine bestimmte Reaktion gezeigt hat. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Skinnerbox in der Tauben einen bestimmten Hebel betätigen mussten und darauf hin Futter bekamen. Die Tiere konnten so lernen, dass ihr Verhalten Auswirkungen/Effekte hat.
Im weiteren Verlauf der Versuche wurden kompliziertere Mechanismen eingesetzt um die gezielte Verstärkung und Abschwächung dieser Ereignisse zu untersuchen.
An den Behavioristischen Lerntheorien wurde die mangelnde Ãœbertragbarkeit auf Menschliche Alltagssituationen kritisiert, denn selbst bei den Tieren herrschten Laborbedingungen um die entsprechenden Beobachtungen zu machen. Es ist leicht ersichtlich, dass menschliches Lernen facettenreicher sein muss, denn wenn wir ausschließlich über Reiz-Reaktionsschemen lernen würden hätte das für viele Fahrschühler teure Konsequenzen und für die anderen Verkehrsteilnehmer würde es lebensgefährlich werden.
Lernen am Modell
Albert Bandura (*1925) führte eine Anzahl von Studien durch die darauf hinweisen, dass wir in gewissen Maße bereit sind unser Verhalten auf der Grundlage von Beobachtungen anzupassen. Bandura selbst stammt zwar noch aus der Verhaltenspsychologie, hat aber herausgearbeitet das der Mensch seine Umwelt beobachtet, Eindrücke Interpretiert, Handlungsentwürfe generiert und ihre Wirkungen auswertet. Vorbilder spielen beim Lernen am Modell eine entscheidende Rolle. Das heißt die Person von der eine bestimmte Verhaltensweise „abgeguckt“ wird muss vom Lerner als Nachahmenswert empfunden werden.
Damit Lernen durch Beobachtung überhaupt stattfinden kann, müssen beim Individuum vier Prozesse gegenwärtig ablaufen:
- Aufmerksamkeitsprozesse (damit das Gesehene überhaupt aufgenommen werden kann)
- Gedächtnisprozesse (damit sich das Gesehene in einer Gedächtnisspur niederschlägt und sich später daran erinnert werden kann)
- motorische (Handlungs-) Prozesse (das Beobachtete zeigt sich in einer Handlung)
- Motivationsprozesse (Handlung tritt erst ein, wenn das Individuum entsprechend motiviert ist)
Kognitives Lernen
Das kognitive Lernen hat folgende neun Grundannahmen:
- Das Gehirn ist kein einfaches Ablagesystem, sondern ordnet die Informationen in neuronalen Netzen an.
- Das Gehirn speichert zu den einzelnen Informationen auch Kontexte, also wo, wann und unter welchen Umständen ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat. Hierdurch wird die Gedächtnisleistung gestärkt.
- Neuronale Netze und die Fähigkeit Impulse von einer Zelle zur nächsten zu senden bilden die organische Grundlage für das Lernen.
- Intensität, Zeitpunkt und ähnliche Kriterien tragen zu einer Bewertung von Informationen bei und geben ihr so eine Bedeutung.
- Die aktuelle Neurobiologische Forschung bezeichnet Funktionen wie z.B. das Selbstbewußtsein, denen keine eindeutigen Areale im Gehirn zugeordnet werden können als Geist. Wenn uns beispielsweise etwas dämmert wird aus der neurochemischen Information Geist.
- Das Gehirn arbeitet als selbstreferenzielles System. Das bedeutet, die Kriterien nach denen das Gehirn seine Aktivitäten bewertet hat es selbst entwickelt. Es handelt sich bei unserer Wahrnehmung somit nicht um eine Abbildung der Wirklichkeit. Wirklichkeit wird vom Menschen nicht ge– sondern erfunden.
- Die vom Gehirn aufgenommenen Eindrücke werden durch das limbische System emotional eingefärbt und bewertet. Die Intensität der emotionalen Färbung hat einen Einfluß auf die Fähigkeit sich an die Ereignisse zu erinnern.
- Um unterschiedliche Leistungen zu erbringen (Formen Erinnern, Nachvollziehen, Wissen verfügbar machen u.ä.) gibt es unterschiedliche Gedächtnisse (Rekognitionsgedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Assoziationsgedächtnis, Langzeitgedächtnis, deklaratives Gedächtnis, prozedurales Gedächtnis).
- Die vom Gehirn aufgenommenen Informationen werden vom Gehirn in gewissen Zusammenhängen gespeichert. Die puren Informationen ergeben isoliert keinen Sinn. Ist das Gehirn nicht in der Lage den Informationshappen einen ausreichenden Bezugsrahmen zuzuordnen, so kommt es zu sog. trägem Wissen.
Piagets Kognitive Entwicklungsphasen
Passend zu den Kognitiven Lerntheorien gibt es noch die kognitiven Entwicklungsphasen von Jean Piaget (1896-1980). Nach Piagets Meinung gibt es einen grundlegenden Zusammenhang zwischen Handeln und Denken. Durch das Handeln des Subjekts mit Gegenständen wird Erkenntnis produziert und aufgrund entstehender Denkstrukturen ergeben sich neue Möglichkeiten des Handelns.
Zunächst orientieren sich diese Operationen an konkreten Gegenständen und später geistig als formelle Intelligenz. Indem sich das Erkennen vollzieht entwickeln sich Strukturen, also allgemeinen Regeln, Mustern, Kompetenzen und Systemen.
Piaget behauptet das diese Entwicklung sich aus der Beschäftigung mit der Welt, ihren Personen und Gegenständen ergibt und das sie irreversibel ist, weil jede Entwicklungsstufe Voraussetzung für die nächste Stufe ist.
Für die Entwicklung sind laut Piaget Assimilation und Akkomodation grundlegend. Wenn Erfahrungen assimiliert werden, so werden sie in die bereits bestehenden (Denk-)Strukturen eingegliedert. Bei der Akkomodation wird die bestehnde Struktur erweitert. Die Untergruppe von Tier wären dann z.B. Tiere mit zwei und Tiere mit vier Beinen. Dieses Beispiel lässt sich auch auf Sinneserfahrungen u.ä. übertragen und soll nur der einfachen Veranschaulichung dienen.
Motor für diese Entwicklung ist das Streben nach dem Äquilibrium, dem Gleichgewicht. Ein Ungleichgewicht in Form von kognitiven Konflikten führt zur Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung.
Piaget hat die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit (wenigstens bis zur Jugend) in Entwicklungsstufen eingeteilt.
Entwicklungsphasen
- Sensumotorische Phase (bis ca. 2.Lj.)
Ausprobieren des Reflexpotenzials später Mittel-Zweck Bezug (z.B. wenn Strampeln dann Glöckchenklingeln.) - Präoperationale Phase (2. bis etwa 7. Lj.)
Nutzung von Vorstellungen und Symbolen im Denken (z.B. in der Sprache.)
Kennt nur eine (die eigene) Perspektive. Vorstellung bzgl. Masse u.ä. noch schwierig.
Schwierigkeit der Klassenbildung. Z.B. es sind X Jungen und X Mädchen, aber wieviele Kinder sind es? - Phase der konkreten Operation (7. bis etwa 11.Lj.)
Logik für konkrete Ereignisse (z.B. Umkehrbarkeit) wird entwickelt. -
Phase der formalen Operation (ab ca. 11.Lj.)
Hypothesen aufstellen, Problemlösung entwickeln u.ä.
Größte Kritik an den Thesen von Piaget war die Kritik an der Methode weil er sich stets auf seine eigenen drei Kinder bezog und dem Stufenmodell, weil die Reihenfolge eigener Fähigkeiten nicht ganz zuverlässig ist.
Quellen:
Gudjons, Herbert: Pädagogisches Grundwissen (2003)
Holzkamp, Klaus: Lernen – Subjektwissenschaftliche Grundlegung (1995)
Zimbardo, Philip G.: Psychologie (1998)
Anmerkung
Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass die obige Darstellung weder umfassend, noch abschließend ist. Sie stellt für mich aktuell einen kompakten Einblick/Ãœberblick der Lerntheorien dar und das galt es hier festzuhalten.
Ergänzungen und Fragen gerne in den Kommentaren!
Ralf Appelt arbeitete im Medienzentrum der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Uni Hamburg und studierte Diplom Pädagogik und ePedagogy Design Visual Knowledge Building. Mittlerweile ist er Studienrat an einer berufsbildenden Schule in Schleswig-Holstein. Er interessiert sich ausserdem für Visualisierung, Photographie, Social Media und mobile Learning. |
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H?rt sich doch alles sehr gut und ?bersichtlich an! Du bist sicher gut vorbereitet und schaffst das auch noch! Ich w?nsche dir viel viel viel Gl?ck morgen bei deiner letzten Pr?fung! Ich werde dir die Daumen dr?cken! Deine Kati
Jetzt wird es ja mal richtig interessant… 😉 Aber als alter Neurobiologe, finde ich nat?rlich, dass die umfangreiche neurobiologische Forschung auf dem Gebiet doch nicht ausreichend dargestellt wird. Besonders spannend wird es n?mlich, wenn man f?r die im Verhalten beobachteten Lernformen, wie etwa die Klassische Konditionierung oder das Assoziative Lernen, auf neuronaler, biophysikalischer und biochemischer Ebene die entsprechenden physiologischen Grundlagen findet. Besonders Eindrucksvoll sind hier die Forschungsarbeiten von Eric Kandel, der den Siphon-R?ckzieh-Reflex der Nacktschnecke Aplysia untersucht hat, und hierf?r auch 2000 den Nobelpreis bekommen hat (und letztendlich ist so eine Nacktschnecke ja auch nur ein gaaanz einfacher Mensch 😉 Sollte jedenfalls jeder mal lesen, zumindestens wenn man sich mit Lernen besch?ftigt.
?usserst anregend fand ich auch immer die teilweise hitzigen Diskussionen zwischen (Lern)-Neurobiologen und P?dagogen/Pysychologen, die ich auf einigen Kongressen verfolgen konnte. Im Prinzip haben die Neurobiologen den P?dagogen vorgeworfen bei der Erforschung/Entwicklung neuer Lern-/Lehrmethoden, die Erkenntnisse aus der Neurobiologie viel zu wenig zu ber?cksichtigen und vielmehr eher ideologisch oder gar politisch zu denken. Aber immerhin hat man schon mal miteinander geredet. Ich hoffe, dass das heute viel intensiver gemacht wird, oder?